Lobhudel und Tadelei

Die psychologischen Tricks eines Directeur sportifs

Wer sich auch nur ansatzmässig in der psychologischen «Behandlung» von Menschen auskennt, die sich aufmachen, um an ihrer persönlichen, physischen Grenze zu schnuppern, kennt das relativ subtile Spiel zwischen Lob und Tadel. Zu oft angewendet, und vor allem zur falschen Zeit, kann es verheerende Folgen haben. Wenn ich von Grenze spreche, meine ich das todernst. Eine Grenze, hinter der nur noch etwas kommt: der totale Zusammenbruch!

 

André Maerz, mein Siegfahrer, hat sich entschieden, diese Grenze nicht nur zu erahnen – sondern konsequent bis zum absoluten «geht nicht mehr» am eigenen Körper zu erfahren. Mehr als Hut ab, vor diesem tatsächlich mutigen Unterfangen.

Mit allen kommunikativen Tricks vertraut.

 

Und weil mein Tapir ein sehr intelligenter junger Mann ist und jedes auch nur erdenkliche Risiko möglichst ausschliessen wollte, hat er mich unter Vertrag genommen. Eine ältere, graue Eminenz quasi, die ihn aus dem bequemen Auto-Lehnstuhl ganz genau beobachtet. Ein Mann, der die Velo-Grenzen eines Menschen aus jahrzehntelanger Erfahrung haargenau einschätzen kann, und ohne wenn und aber, und vor allem ohne falsche Scheu oder treuherziger Abhängigkeit dann ein Machtwort sprich, wenn’s nicht mehr geht. Sozusagen einer mit absoluter, ultimativer Stopp-Kompetenz.

 

Soviel für alle jene Hunderte von Lesern, die den rüsselnden Tapir kennen, mögen, verehren und lieben - und darum seit unserem feuchten Start in Glarus (CH) in latenter Angst um André leben. Schluss mit Zittern. Sie können alle versichert sein, ich nehme den Mann vom Velo, wenn ich wirklich sehr ernsthafte Bedenken habe. Gnadenlos – ohne Diskussion!

 

Vorläufig kann davon aber überhaupt keine Rede sein. Ganz und gar nicht. Tapir – der noch vor einem Jahr ein Rennvelo nur aus Schaufenstern kannte – hat in den unendlichen Steinwüsten der französischen Alpen schlicht und einfach bewiesen, dass ein glänzend vorbereiteter Mann mit eisernem Willen, Selbstbeherrschung und der Bereitschaft zum totalen Quälen im wahrsten Sinne des Wortes Berge versetzen kann. Ende der vorläufigen Bilanz-Durchsage. Und, Gott behüte mich, auf der Stelle Schluss mit der völlig übertriebenen Lobhudelei!

 

Alle jene, die sich nämlich mit dem modernen Computer-Geschäft aus Hotelzimmern nicht so genau auskennen, müssen wissen, dass ich ein leider gewaltiges Handicap habe, das mich grenzenlos ärgert. Es ist schlicht unmöglich, auch nur eine einzige Zeile, die für unsere berühmte www.tapir.ch-Homepage bestimmt ist, am Tapir vorbei zu schmuggeln. Nur er kann diese Seite füttern – ich könnte ihm den berühmten Schnauz ausreissen vor Wut und Ohnmacht.

 

Jetzt versteht der geneigte Leser sicher, dass ich bedingt durch dieses «System», in meiner Schreiberei völlig eingeengt bin. Nur auf drei Zylindern Texte fabrizieren kann, und die wirklichen Dramen dieser Tour ungesagt resp. ungeschrieben bleiben. Jammerschade, diese Um-den-heissen-Brei-herum-Schreiberei. Wer mich allerdings kennt weiss, dass ich dem Herrn Maerz ein Ei legen werde, das den Namen verdient. Kein wunderschönes, zierliches Wachteleichen – sondern ein Straussen-Ding, das eine Kochkiste füllt.

 

Schliesslich arbeite ich etwas länger bei Ringier als mein Siegfahrer. Das zahlt sich jetzt aus. Ich habe einen Spezialisten in der Hinterhand, der unseren Tapir mit einer einzigen, eleganten, elektronischen Bielmann-Pirouette umfahren kann. Wenn dieser Mann in die Tasten greift, schaut der schlaue André ganz schön dumm aus der Wäsche. Und vielleicht das Schönste daran ist die Tatsache, dass der Herr Maerz (lies das nur – ich meine Dich) diesen Text nicht herausnehmen kann, ohne dass ich es merke. Ihm sind praktisch seine genialen Computer-Hände gebunden. Wie wunderschön – wie einzigartig!

 

Ich habe nämlich ein Natel dabei. Und telefonieren ist für mich - im Gegensatz zu allen computertechnischen Grundhandhabungen – eine Tätigkeit, die ich mit knapper Not im Griff habe. Zudem ist der berühmte Herr Alzheimer bei mir noch nicht so weit fortgeschritten, dass ich morgen nicht mehr weiss, was ich heute geschrieben habe. Selbst wenn der Tapir jetzt auf die glänzende Idee kommen sollte, zu nächtlicher Stunde in mein Zimmer zu schleichen um mein Natel zu klauen, ist auch das nicht weiter tragisch.

 

Ich habe schon von Velo-Rennen berichtet, als der sicher schnuselige Klein-André im Kindergarten mühsam farbige Entchen zählte. Nicht mehr als drei, schätze ich. Damals arbeitete ich ohne störenden Computer, ohne eigenes Natel. Dafür mit Hilfe guter, alter, öffentlicher Telefon-Kabinen und einer Schreibmaschine namens Hermes Baby. Schlechter wurde damals nicht Velo gefahren – eher besser. Auch die Texte waren besser, besser und ehrlicher – weil es keine verfluchte Zensur gab...