Der Wind, der Wind, das Sch...

Warum das Wallis nichts für Velofahrer ist

Auf die höhenmässig happigste Etappe folgt nun also die kilometermässig längste Etappe. Von Andermatt über die Furka das Wallis hinunter bis nach Martigny. Schon bei der Vorbereitung dieser Etappe war mir aufgefallen, dass immer wieder vom konstanten Talwind im Wallis die Rede war. Ich legte mir also zwei alternative Strategien zurecht: Wenns windstill ist, müsste ein gepflegter 30er Schnitt hingelegt werden können. Wenns windet, dann muss man einfach überleben. Inhaltlich ist diese Strategie zwar ziemlich sinnlos, aber der Umstand, dass ich überhaupt eine Strategie habe, beflügelte alleine schon.

Der Wind (vorne) macht dem Fahrer arg zu schaffen.

Doch die ganze Strategie nützt nichts, wenn der Tacho ausgerechnet auf der Rolleretappe seinen Geist aufgibt. Hat wahrscheinlich auf der Startetappe zuviel Wasser abbekommen. Also manuelle Zeitstoppung. Der Directeur sportif hat eine Uhr, die angeblich schon auf dem Mond war. Na ja, 60er Jahre Technik...

 

Nach einem Teller Spaghetti auf nüchternen Magen geht’s punkt halb elf in Andermatt auf die Piste. Während uns am Vortag beim Ruhetagsfährtli ein lauer Wind hurtig nach Realp blies, gibt der Wind heute bereits am Start den Tarif bekannt: Gebläse voll ins Gesicht. Schon beim Anstieg zur Furka spüre ich die Spaghetti, wie sie sich im Magen querstellen und nach oben melden: Wir wollen raus! Aber weil ich weiss, dass ich auf den kommenden 160 km noch froh sein werde um jedes einzelne Kohlehydrätli, versuche ich das zu ignorieren. Zwei Fahrer vor mir kann ich nicht einholen, dafür hänge ich mich weiter oben ans Rad eines jungen Spunds, der einen Affenzahn vorlegt. Das Rad kann ich etwa 2 oder 3 km lang halten, dann muss ich etwas zurückschalten. Schliesslich habe ich nach der Furka noch immer über 140 km vor mir.

 

Der Tenüwechsel auf der Passhöhe funktioniert diesmal besser als auf dem Klausen. Die Sachen sind parat und so kann ich schon nach drei Minuten wieder starten. Allerdings ein kleiner Fehlstart. Die Brille muss ich auch noch wechseln, soll mich nicht mein eigenes Augenwasser blind machen.

 

Die Abfahrt nach Brig: Mit Abstand der beste Teil der bisherigen Reise! Rüssel runter und immer zwischen 40 und 70 km/h fetzen. Durch wildes Gestikulieren bringe ich sogar einen Hymer dazu, rechts ran zu fahren, damit ich ihn überholen kann. Nach Gletsch geht’s zwar weniger steil abwärts, aber immer noch kann ich ein hohes Tempo fahren. Nach drei Stunden passiere ich bereits Brig (80 km).

 

Was jetzt folgt ist nur schwer zu beschreiben. Der bereits erwähnte Talwind beginnt sein übles Spiel. Sämtliche Walliser Fahnen knattern im Wind. Strassenstaub immer direkt von vorne. Es ist zum Heulen. Die Strassen sind praktisch leer (alles schaut sich das Fussball-WM-Enspiel an). Ich fühle mich nur noch allein. Aber ich will nicht im Windkanal aufgeben. Vorher falle ich tot vom Rad. Am schlimmsten sind die letzten 14 km von Riddes nach Martigny. Eine einzige gerade Strasse. Ein bequem breiter Velostreifen. Aber kein Fetzen Windschatten. Immer volles Programm ins Gesicht. Ich schlage mir zweimal das Kinn am Lenker an, weil ich mich so klein wie möglich machen will. Ich schaue kaum mehr voraus. Nur noch die Spur halten, in dem ich zwischen meinem Füssen die gestrichelte gelbe Linie zu verfolgen versuche. Die Bidons sind leer. Ich habe Durst. Das Begleitfahrzeug ist voraus gefahren. Die suchen das Hotel.

 

Endlich der Anruf des Directeur sportifs: «Wo bist Du?» - «Kurz vor Martigny, ich komme in ca. 5 Minuten.» Von weitem sehe ich den Directeur. Er schwankt im Wind. Kein Witz! Ich hoffe, er bietet mir mit dem Fahrzeug auf den letzten Meter Windschatten. Denkste. Er fährt mir genau vor der Nase ab. Windschattenfahren? Gibt’s nicht an der Glarus-Nice Challenge!

 

Hotel. Dusche. Durst. Ich versuche, ein isotonisches Getränk zu mir zu nehmen. Fehlversuch. Vor dem Magen wird das Getränk an den Absender zurückgesandt. Sibyl schaut den erbärmlichen Fahrer ziemlich bleich an, wie der über der Kloschüssel hängt. Aber wie das Zeugs draussen ist, geht’s mir bereits wieder besser. Das war mein Kommentar zu den Windverhältnissen im Wallis: Zum Ko...

 

Statistisches

 

Andermatt (1444) – Furkapass (2431) – Martigny (471). 165 km (984 Höhenmeter) in 6:28 (Schnitt: 25.5 km/h). – Eigene Vorgaben knapp erfüllt; eine solche Gegenwindstärke war nicht geplant.