Salat in Kettenölsauce

In den Fressnapf des Tapir Racing Teams geschaut

Velo-Profis setzen sich bei grossen Touren zweimal pro Tag zu Tisch: Am Morgen und am Abend. Zwischendurch essen sie zwar auch sitzend – aber kalt und im Sattel!

 

Diese Tatsache ist meinen beiden Tour-Genossen erstaunlicherweise bekannt. Völlig neu für sie ist die Selbstverständlichkeit, bei diesen beiden länger

Kann besser Speise- als Strassenkarten lesen: Directeur sportif.

dauernden, täglichen Nahrungsaufnahmen technische – für sie nur schwer verständliche – Gespräche zu führen. Ein echter Profi-Rapport quasi zwischen Suppe, Fisch und Fleisch. Mit andern Worten: Mahnende Worte meinerseits an staunend kauende Mitstreiter.

 

Um die ganze Sache etwas humaner zu machen, lasse ich hie und da auch andere Themen einfliessen. So nett bin ich eben. Das heisst vorerst wird bei uns leider gar nicht gesprochen – sondern der Versuch gemacht, zu bestellen. Aber wie! Schmunzeln Sie, liebe Sport-Fans, mit.Da sitzt also mein Siegfahrer, auch zu Tisch eines Hauptes länger als normale Menschen, äugt vorsichtig über seinen gewaltigen Schnauz – und harrt der Dinge die da kommen. Neben ihm, klein wie ein Kind, Sibyl, meine ganz private Steinsammlerin. Als Presse-Chefin unserer Tour ist sie übrigens auch für die Fotos verantwortlich. Einen Job, den sie hervorragend ausführt, wenn auch mit einer ihr offenbar angeborenen, glarnerischen Hinterhältigkeit. Bringt sie es doch drei Tage hintereinander zustande, ihren leidenden André in perfekter Haltung abzulichten. Mich, den Rad-Experten dagegen, mit gutem Auge und einem sauberen Klick als letzten, bierbäuchigen Trottel im Umzug auf den Film zu bannen.

 

Bis die ganze Sache zu Tisch aber jeweils ins Rollen kommt, steht da allerdings ein Problem im Raum, das schlicht und einfach Speisekarte heisst. Wenigstens für die Dame am Tisch. Während sich der Herr Tapir kurz und zielsicher durch die diversen Seiten «rüsselt» (würde er nur die sanften Kurven in den Pässen so forsch fahren), quält sich die Presse-Chefin zum Gotterbarmen durch die Karte. Einiges von meiner Frau in dieser Hinsicht gewohnt, glaube ich doch jeden Tag von neuem, dass Sibyl schlicht und einfach das beschriftete Buch nicht nur auswendig lernt, sondern auch noch den Kochvorgang sämtlicher Gerichte bildlich durchexerziert. Sie kocht beim lesen. So muss es sein – so, und nicht anders!

 

Wenn man weiss, welche Mengen der Mä(e)rz auch in anderen Monaten und nach so langem, qualvollen Sitzen verschlingen kann, ist dieser Vorgang Tierquälerei in Reinkultur.

 

In diesen Momenten ist die Stille so durchdringend, dass wir drei sozusagen einen Stillstandversuch in Sachen Reden machen. Ein Zustand, der wenigstens dem Tapir auf dem Velo nicht ganz unbekannt ist. Kommt dann endlich das ersehnte Futter geht das grosse Schweigen weiter. Gang um Gang.

 

Weil essen müde macht, sollte jetzt jedermann klar sein, warum meine Etappen-Konferenzen leider fast vergebene Mühe sind. Gesättigt und willens zwar, ein klein wenig von der faszinierenden Profi-Velo-Welt zu erfahren, ist die Aufnahmefähigkeit meiner Gefährten auf ein Minimum gefallen.

 

Darum werde ich ab sofort Team-Sitzung, das Brot einer Mannschaft, nur noch beim Morgenessen durchführen. Da gibt’s nämlich keine Speisekarten – auch für die liebe Sibyl nicht...